Die Geschichte von Factor 5 | Teil 2
Angefangen hat das Unternehmen wie viele andere große Firmen auch: ganz klein. Einige enthusiastische Spieler und Hacker haben aus einer Studentenklitsche einen international ernstzunehmenden Entwickler gemacht, aber der Weg kann nicht immer nur nach oben führen.
Verkettung ungünstiger Umstände
Für Factor 5 begannen stürmische Zeiten. Das Team wollte nach den missglückten Ausflügen zu Sonys und Microsofts Plattformen zurück zu Nintendo und dann war da noch die halbfertige Rogue-Squadron-Trilogie. Nintendo hatte gerade die verbesserte Wii Fernbedienung Plus vorgestellt. Damit könnte sich das Projekt auch auf der Wii realisieren lassen. Factor 5 passte die drei Spiele für die Konsole an und arbeitete eigenfinanziert unter Hochdruck daran. Gleichzeitig war das Studio mit zwei Auftragsarbeiten für die Publisher Brash Entertainment und Green Screen Interactive Software beschäftigt. Für Brash sollten die Grafik- und Actionspezialisten ein Superman-Spiel auf die Beine stellen und für Green Screen einen Pilotwings-Klon. 2008 gerieten beide Unternehmen durch die Weltwirtschaftskrise jedoch in Schieflage und rissen Factor 5 mit in den finanziellen Abgrund. Anstatt aber einen Teil der Belegschaft zu entlassen, entschloss man sich, das komplette Team zu halten. Es bestand die Hoffnung, dass jemand das Superman-Projekt übernehmen könne und Factor 5 die Entwicklung fortsetzt. Also pumpte man jeden verbliebenen Cent hinein. Eine Fehleinschätzung, denn trotz des zwei Jahre zuvor gestarteten Kinofilms von Bryan Singer blieb der Mann aus Stahl wie Blei im Regal. Selbst Rettungsversuche von Bandai Namco und anderen Unternehmen fruchteten durch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise nicht. Nicht einmal die fertiggestellte und in Rogue Leaders umbenannte Star-Wars-Trilogie konnte veröffentlicht werden. Und so wurde die amerikanische Niederlassung von Factor 5 zum Jahreswechsel 2008/2009 geschlossen. In Deutschland hingegen operierte die Factor 5 GmbH, an die auch die hauseigenen Lizenzen Turrican und Denaris/Katakis übertragen wurden, unter der Leitung von Achim Moller ungeachtet der Turbulenzen weiter.



Versuch einer ersten Rettung
Für Julian Eggebrecht und die Factor-5-Mitarbeiter war das allerdings kein Grund die Köpfe hängen zu lassen. Die Firma BluHarvest, später umbenannt in WhiteHarvest, wurde gegründet, um einen Großteil der Angestellten von Factor 5 weiter zu beschäftigen und die Projekte fortzusetzen. Das Team war immer noch zuversichtlich, Rogue Squadron auf die Wii zu bringen ebenso wie den Pilotwings-Klon. Dank ihrer erfolgreichen Vergangenheit waren sie in der Branche nicht vergessen. Electronic Arts verpflichtete sie im Februar 2009, eine Wii-Umsetzung des Spiels Brütal Legend anzufertigen. Allerdings schien nun ein Fluch auf dem Team zu lasten. Mehrere Arbeitsrechtsklagen prasselten auf WhiteHarvest ein und auch bei Brütal Legend lief es alles andere als rund. Die geforderten Qualitätsstandards wurden nicht erreicht. Ende Juni 2009 wurde das Projekt schließlich eingestellt und WhiteHarvest musste nahezu die komplette Belegschaft entlassen. Auch diesen Rückschlag steckten Eggebrecht und das Kernteam von Rogue Squadron von damals weg. So fanden sie sich 2010 wieder zusammen, inklusive des deutschen Ablegers, der nun stärker in den Fokus rückte, denn von nun stand nicht mehr nur die Entwicklung von Spielen im Vordergrund. Durch ihre gesammelten Erfahrung in der DivX-Codec-Entwicklung für Konsolen und weiteren Technologien haben sie sich einen exzellenten Ruf auch in der Videobranche erarbeitet.
Andere Betätigungsfelder gesucht und gefunden
Videostreaming war das nächste große Ding in der Medienwelt und jeder wollte ein Stück vom Kuchen abhaben. Netflix war zum damaligen Zeitpunkt der größte DVD-Verleihservice in den USA, aber der Versandhandel bröckelte und man suchte nach anderen Möglichkeiten, dem Verbraucher die eigenen Filme schmackhaft zu machen. Nachdem die Streaming-App auf der Xbox 360 gut funktionierte, sollte der Service auch auf der Wii starten, doch die internen Teams schafften es nicht, einen lauffähigen Client zu programmieren. Ein ehemaliger Mitarbeiter von DivX, der mittlerweile bei Netflix gelandet ist, erinnerte sich an Eggebrecht und sein Team und innerhalb von zwei Wochen programmierten sie einen Prototypen für die Wii, der nicht nur Netflix überzeugte, sondern die Wii in den USA zum meistgenutzten Gerät für den Streaming-Service machte. Das war die Initialzündung, die die Gruppe brauchte. In der Folge verfeinerten sie unter den neuen Firmennamen FactorY Media Production GmbH und SmoothVOD ihre Kenntnisse in diesem Bereich und haben für alle drei Konsolenhersteller die großen Videostreaming-Services (Netflix, Hulu, Amazon Instant, Lovefilm und Watchever) umgesetzt. Selbst die YouTube-App für den Nintendo 3DS ging auf ihr Konto. Mittlerweile haben sie ihre Technologie lizenziert und in diesem Bereich fest Fuß gefasst. So ist Julian Eggebrecht beispielsweise seit September 2014 Vize-Präsident beim Anbieter Hulu.
Spiele mit eigenen Mitteln finanziert
Diese Unternehmungen wurden jedoch vorrangig unternommen, um in der Spieleentwicklung ein wenig unabhängiger zu sein. Ziel war eine weitgehende Eigenfinanzierung der Spiele. Dazu musste jedoch eine geeignete Geldquelle gefunden werden. So konnte dann 2011 TouchFactor gegründet werden. Knapp vier Jahre hat das ehemalige Rogue-Squadron-Team neben der Videostreaming-Technologie an einem ersten Spiel gearbeitet. Allerdings hat sich sowohl die Zielplattform als auch das angestammte Genre vollkommen verändert. Statt ein Actionspiel auf Konsolen und Handhelds herauszubringen, entschied man sich für ein interaktives Fisch-Tamagotchi auf Apple-Geräten. Die Philosophie hingegen ist ähnlich geblieben. TouchFactor will weiterhin die Hardware bis zum Letzten ausreizen und die neuesten Technologien nutzen und ein technisch anspruchsvolles Produkt erschaffen. So unterstützt TouchFish die Frontkamera für Emotionserkennung, AirPlay, iBeacon und Twitch. Zudem verfügt das Spiel über weiche Schatten sowie volumetrische Ausleuchtung und ist physik- und cloudbasiert bei 60 Bildern in der Sekunde in Echtzeit. Manche Dinge ändern sich eben doch nicht.
Quellen: IGN, Gamasutra, Amiga Future, Oliver Kilb, Spieleveteranen, Destructoid, Amiga Joker, Factor 5, Pocketgamer, YouTube, LinkedIn